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Meine analoge Freundin

Es ist 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee. Sehen konnte man das auf Facebook oder Instagram damals nicht. Wenn es dort schön war, im Sommerurlaub mit den Eltern, musste man den Sätzen auf der Postkarte glauben, die bei einem Südseeurlaub meist erst 3 Wochen nach dem Urlaub ankam und auf der häufig nur der Satz „Hier ist es sehr schön, die Sonne scheint, mehr zu Hause“ stand. Dann hat man sich nach dem Urlaub persönlich getroffen. Dafür hat die analoge Freundin natürlich zu Hause auf dem Festnetz angerufen. 02191… und dann?! Telefonnummern von Freunden, beziehungsweise von den Eltern der Freunde, kannte man 1996 auswendig. Tatsächlich! Ja, man konnte in „Notfällen“ gegebenenfalls sogar auch von unterwegs aus einer Telefonzelle anrufen. Ich hab das öfter gemacht, ich hatte öfter solche Notfälle und immer Kleingeld dabei. Telefoniert habe ich dann mit Freundinnen, die noch nicht zum verabredeten Termin da waren, mit Jungs (zusammen mit Freundinnen, die pünktlich kamen), auch an Gewinnspielen im Fernsehen habe ich so teilgenommen. Damals als es noch die Sendung Jeopardy gab und Frank Elstner 10 handsignierte Backstreet Boys CD’s verloste. Schon bevor die Nummer eingeblendet wurde, stand ich nicht weit von zu Hause in einer Telefonzelle am Remscheider Hauptbahnhof. Mama hat währenddessen mit einer Freundin telefoniert. Luxuriöser war’s natürlich, wenn Mama nicht telefonierte oder Papa nicht im Internet war, dann konnte man einfach im eigenen Zimmer telefonieren. Natürlich nur bis Papa wieder ins Netz musste oder ein Fax ankam. Für Papa oder für einen selber, Mama hat nie Faxe bekommen. An mich adressierte Faxe kamen meist von meiner analogen besten Freundin oder meinem Freund. Ich habe heute noch einen dicken Ordner mit Thermopapier von Katrin und Fabrice im Keller. Verblichen natürlich, fast unlesbar. Manchmal kam ich von der Schule nach Hause und der halbe Flur war hübsch zugedeckt mit Texten, wahlweise von einem der Beiden. Meinen Vater das hat viele Faxpapierrollen gekostet, mich viel Zeit zurückzuschreiben. Zeit, die wir zwar heute auch noch hätten, freischaufeln könnten, es aber nicht machen. Es geht ja mittlerweile schneller und direkter. Wann habt ihr einer Freundin von euch zuletzt einen Brief geschrieben? Eine Postkarte aus dem Urlaub geschickt? Einen Zettel an die Hautür geklebt? Ans Auto? Ins Fach auf der Arbeit gelegt? Wann habt ihr zuletzt einfach so bei einer Freundin geklingelt, ohne zu wissen, dass sie da ist? Hhm, genau. Man schickt Whats App Nachrichten, verlinkt jemanden bei Facebook, bindet die Freundin auf Twitter ein oder telefoniert mit ihr während man auf dem Weg ist andere Dinge zu tun. Ich war nie eines des Mädchen, die abends „Telefonzeit“ mit ihren Girls hatte, aber ich habe Faxe geschrieben, Postkarten, Briefe, hatte zeitweise mit 14 sogar ein Briefbuch und habe mich in der Schule für nach der Schule verabredet und diese Verabredung auch eingehalten. Das alles will ich zurück! Meine analoge Freundin und ich haben uns letzte Woche nach zwei Gläsern Wein beim Italiener gefragt, ob wir Zwei das heute noch hinbekommen würden. Wie wäre das, sich gegenseitig in allen Social Media Kanälen zu löschen und wieder analog befreundet zu sein – ohne Fax, es sei denn wir sind beide zur gleichen Zeit auf Besuch bei unseren Eltern und Papa ist nicht online. Würde das klappen? Würde unsere Freundschaft darunter leiden? Wie schwer würde es uns fallen zu kommunizieren und zu treffen und auszutauschen? Und vor Allem: Wie lange halten wir das aus? Ob unser Experiment tatsächlich funktioniert, das wissen wir noch nicht, aber wir sind gerade dabei es zu erfahren. Wir arbeiten zusammen, nicht regelmäßig, wir haben keine festen Terminpläne, sehen uns dort also auch nicht regelmäßig. Wir sind fast Nachbarinnen, jedoch in unterschiedlichen Straßen mit unterschiedlichen Büdchen an denen wir unseren Kaffee kaufen, aber zumindest wohnen wir im gleichen Viertel. Und wir wissen wo unser Auto steht, beziehungsweise in meinem Fall die Vespa. Trotzdem ist das Einzige, was ich noch von ihr habe ein Zettel des italienischen Restaurants in dem wir saßen, mit ihrer Nummer drauf.

Maike: 0171…, für den „Notfall“.

1 Kommentar on "Meine analoge Freundin"

  • Markus says

    Liebe Bianca,

    tatsächlich ist es möglich, analog befreundet zu sein und ich schreibe bis heute Briefe und Postkarten — weil das einfach viel geiler ist, richtige Post zu bekommen, als ‘ne WhatsApp – Nachricht. Und wenn Du mir Deine aktuelle Adresse schickst, dann bekommst Du auch mal ‘ne Karte ;-)

    Lieben Gruß

    Markus

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